Da ich die einzige bin, die noch hier ist, bin ich wahrscheinlich auch die einzige, die die Reaktionen um den Selbstmord des Hannover '96 Torwarts Robert Enke am Mittwoch verfolgt hat. Er war schwer depressiv, stand als Spitzensportler und ganz besonders als Torwart natürlich unter unfassbarem Leistungsdruck, hat auch in seinem persönlichen Umfeld schreckliches erlebt -2006 ist seine kleine Tochter an einem Herzfehler gestorben- und hat sich am Dienstagabend vor einen Zug geworfen. So weit, so furchtbar.
Vielleicht liegt es daran dass November ist -Totensonntag, Volkstrauertag, schlechtes Wetter-, vielleicht kommen wir auch einfach nicht damit klar das Menschen öffentlich zerbrechen, aber hier in Deutschland hat diese Geschichte wahnsinnig viele Menschen tief berührt. Nicht weil Robert Enke ein guter Torwart war -although he was-, nicht weil er seine öffentliche Rolle ernstgenommen und sich sozial engagiert hat -although he did-, nicht weil er besonders in Hannover sehr beliebt war und seine Rolle als Vorbild immer versucht hat auszufüllen -although all that is true. Berührt hat uns was anderes. Heulende Nationalspieler. Fassungslose Teenager mit grünen Schals. Eine völlig überfüllte Kirche in Hannover voller Kerzen. Teresa Enke, die blass und trauerstar vor dreißigtausend Kameras steht und sagt, "Wir haben gedacht, wir schaffen alles, und mit Liebe geht das. Aber man schafft es doch nicht immer."
Warum leben wir eigentlich in Leistungsgesellschaft? Warum verlangen wir von Leuten, dass sie sich jedes Wochenende in ein Tor stellen und es auf sich nehmen, dass ihnen jeder von der Bildzeitung abwärts ans Bein pinkelt, wenn sie einen kopfgroßen Lederball der mit 120 km/h auf sie zuschießt nicht fangen? Warum verlangen wir von unseren Mitmenschen, dass sie bis Abends um 10 in einem Agenturbüro sitzen und keine Zeit mehr für ein Leben außerhalb haben? Warum beschließen wir, dass Leute sich jeden Morgen in Büros schleifen müssen die sie krank machen wegen dem schlechten Licht und den unfreundlichen Menschen und dem Druck? Und dann jeden Morgen mit den gleichen Leuten in der U-Bahn sitzen und den gegenüber nicht mal wahrnehmen, von dem versoffenen Körper über den man stackst um einzusteigen mal abgesehen. Warum? Warum muss sich Leistung wieder lohnen oder besser: warum muss sich meine Leistung für mich überhaupt lohnen? Warum belohnen wir nicht, was einer für seinen Nächsten leistet? Warum ist einer, der vielleicht nicht jedes Tor hält aber seine Verantwortung ein Vorbild zu sein ernst nimmt, sich ordentlich benimmt, nicht foult und sein Geld in Jugendprojekte und Tierheime steckt nicht ein hundertmillionmal größerer Star als ein ekliger Proll, der vielleicht jeden Ball hält aber seine schwangere Frau betrügt und Mitspielern das Ohr abbeißt?
Weil es keine Alternative gibt? Because we think nobody would even get out of bed if they didn't have to?
Warum nehmen wir immer nur die Stärken von Menschen war? Und warum können wir höchstens im Kleinen jemand für seine Schwächen lieben und nicht trotz ihnen? Warum teilen wir ein in Sieger und Verlierer, warum gibt es Loser?
Weil es ohne Darwin nicht geht? Weil wir von unserem Überlebungswillen und vom Gesetz des Stärkeren gesteuert werden? Weil wir aufrecht gehen, Monologe schreiben, iPhone Apps schreiben und trotz diesen niedersten aller Instinkte nicht überwinden können?
Warum leben wir ein Welt, in der Liebe nicht reicht? Wie kann das denn sein? Wie geht dass denn, dass wir so kurzsichtig sind dass uns die Jahresbilanz unserer Abteilung wichtiger ist als das einer seine Kinder zum Fußball fahren kann oder überhaupt Kinder haben kann? Und was bleibt denn von uns übrig, wenn wir das abschreiben? Wenn wir abschreiben, dass wir unseren Kindern einen Planeten in any kind of shape überlassen können, weil wir ja Geld verdienen müssen mit Dreckschleuderfabriken und Joghurt, der durch ganz Europa reist und Kriegsflugzeugen die nicht richtig fliegen können und kaputt gehen wenn es regnet? Wenn wir die abschreiben, die keine Leistungsträger sein können, wollen und wenn wir Leuten nicht mal die Chance geben, Leistungsträger zu sein? Warum belohnen wir Menschen denen es gut geht, anstatt die zu unterstützen, denen es scheiße geht?
Weil wir alle gerne mal oben wären? Weil Anreize besser sind als Sicherheitsnetze?
Warum können wir es nicht mitansehen, dass Menschen auch mal zerbrechen? Dass wir alle mal schlechte Tage haben, traurig oder off our game sind? Why is it not okay to be sad? Why -im Fall Robert Enke- is it not okay to be sick? Warum tun wir so als wäre Depression keine Volkskrankheit, warum darf man freimütig zugeben dass man ein kaputte Lunge hat weil man sein Leben lang geraucht hat, aber nicht, dass einem -aus Pech, aus tragischem Schicksal, wie auch immer- die Seele kaputt gegangen ist? Warum lassen wir es zu, dass jeden Tag Menschen sich so alleine fühlen, so verzweifelt sind, dass sie sich vor Züge werfen? Oder sich einfach nur ein bisschen schneiden, in der Hoffnung einer würde vielleicht mal fragen. Kein Mensch auf Erden ist perfekt, jeder weiß dass er es selber nicht ist, und trotzdem erwarten wir, dass unsere Mitmenschen mehr sind als wir. Warum?
Weil es schön ist, anderen zu gefallen und Komplimente zu bekommen. Weil es mehr Spaß macht etwas hinzukriegen als auf die Nase zu fallen. Weil wir, wenn wir Menschen lieben ihre Fehler nicht mehr richtig wahrnehmen und drüber lächeln können, weil wir wenn wir einander lieben in einander Augen irgendwie perfekt werden, mit unseren Macken. Und weil jeder doch eigentlich nur ein bisschen weniger allein sein möchte.
Aber warum dann Leistung? Warum geben sich Menschen gegenseitig dass Gefühl, dass Liebe unter Vorbehalt gegeben wird, und jederzeit wieder entzogen werden kann, wenn du ein schlechte Note schreibst, wenn du nicht befördert wirst, wenn du das Tor nicht hälst? Warum?
I don’t really want an answer. I just want to send this cosmic question out into the void. So, goodnight, dear void.
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5 Kommentare:
Da ich mich gerade mit Marx beschäftige, um demnächst in Diskussionen den Menschen hier INFORMIERT contra geben zu können, kamen mir zwei Gedanken zu Marxismus und der von Charly angesprochenen Leistungsgesellschaft. Zwei Punkte, in denen er - finde ich, wenn man die Punkte an sich betrachtet - garnicht so unrecht hat.
1) Er hält den Wettbewerb zwischen den Firmen der Kapitalisten für kontraproduktiv. Wir wissen, dass aber so die Effizienz in der Produktion gewährleistet wird, da man ständig neuen Herausforderungen gestellt wird. Im großen und ganzen schön, auf die menschliche Ebende hinuntergebrochen allerdings auch sehr unmenschlich. eben hier gibt es dann "loser" und Gewinner. Auch an der Uni: Man kämpft um gute Noten und versucht sich gegenseitig auszustechen. Würde man aber kooperieren, dann hätten alle mehr davon, man wäre effizienter UND glücklicher. Das funktioniert leider nur auf ganz kleiner Ebene. Jetzt meine Frage: WARUM?? Warum kann man das nicht ins große führen? Gibt es eine "menschliche Natur" die uns zu egoistischen, nutzenorientierten Wesen macht und gegen die wir uns nicht wehren können? Warum denken wir immer an unseren eigenen Vorteil und haben Angst überflügelt zu werden? Weil die ressourcen zu knapp sind? Oder sind sie reichlich vorhanden? wie legen wir das überhaupt fest?
Und jetzt die schreckliche Frage, für die sie mich sicher aus der Stiftung schmeißen: Wenn es im kleinen funktionieren kann, wenn es im größen funktionieren könnte - wäre es dann nicht auch besser ein ganzes System eher auf Kooperation als auf Wettbewerb basiren zu lassen? Wäre das menschlicher? Oder ist das einfach nur dumm?
2) Er schreibt vom Menschen als Gattungswesen etc. ihr habt ja selber Hansen gemacht. Ein Punkt der mir gefallen hat: Ich glaube schon, dass man sich in seiner Arbeit verwirklichen kann und dass man es heutzutage viel zu wenig macht. Dass das evtl auch ein Fehler in unserem System ist. Was er allerdings vergisst - auch wenn wir ein System hätten, dass vollständig auf Kooperation basieren würde: Man muss sich entscheiden. Entweder ich bin heute Maler und morgen Sänger, Fische mal und gehe mal jagen und fühle mich als Persönlichkeit verwirklicht, habe aber leider nur eine halbe Ratte auf dem Teller, weil ich numal leider zwar ein passionierter, aber schlechter Jäger bin. Oder ich beiße auch mal in den sauren Apfel, arbeite und kann mir dann Zucker, Zimt und Sahne kaufen, um den Apfel dann in der Pfanne zu braten und zu einem leckeren Nachtisch zu verarbeiten. Technologie alleine wird das wohl auch nicht machen. Denn auch die will entwickelt werden, das braucht Zeit. und wenn ich mir halt denke: mmh, heute habe ich keinen bock elektronen unterm mikroskop zu beobachten, ich gehe dichten, dann wird sich die neue waschmaschiene mit autofarberkennung, eingebautem trockner und ihne co2 emissionen auch nicht von alleine herstellen.
oder ist es anders? kann jeder immer das tun was er will und trotzdem im wohlstand leben? oder ist der mensch dazu verdammt einen ewigen"kampf ums Überleben" zu führen.
so ich werde jetzt hannah arendt lesen, um mein linkes gedankengut wieder in die mitte zu rücken. oder ich lese mir das parteiprogramm der fdp duch.
Zucker, Zimt und Sahne kaufen, um den Apfel dann in der Pfanne zu braten und zu einem leckeren Nachtisch zu verarbeiten.
Gross.
I'm glad you don't have an answer either. Ich habe einfach ein Problem damit, wenn wir davon ausgehen dass Menschen qua Natur faul und niederträchtig sind. Ich glaube, wenn man uns lassen würde we would all be a lot nicer to one another, und selbst wenn das nicht stimmt: shouldn't we aspire to overcome our faults, rather than having a society built on and powered by them (hallo, Finanzkrise). Das ist übrigens schon wieder genau das gleiche wie in der Außenpolitik, die dummen Realisten haben es ja auch nicht drauf. Like I said- wenn Menschen wollen, haben sie die Fähigkeit über den Ärmelkanal zu laufen. Man muss sie nur lassen und es ihnen auch zutrauen.
Deinen zweiten Punkt habe ich ehrlich gesagt nicht verstanden, ich habe auch Marx nicht verstanden. Wenn ich passionierter Jäger bin ich doch zwangsläufig auch ein guter Jäger oder werde es eines Tages? Ich glaube, es gibt zumindest bei uns genug vielfältigkeit das jeder mehr oder weniger dass werden kann was er möchte. (Zahnärtze. Steuerprüfer. Bademeister. Irgendeiner will das ja machen sonst werden sie es nicht geworden, oder? also in einzelfällen vielleicht schon aber nicht in der großen masse, sonst gäbe es das berufsbild ja nicht mehr (siehe: handarbeitslehrerin. nonne.))
Du gefällst mir ganz gut wenn du ein bisschen nach links rückst!! Seriously, though. Ich finde, an Solidariätsgedanken ist erst mal nichts auszusetzen, an instutionalisiertem Egoismus (hustWESTERWELLEhust) aber schon. Jaja, wenn das Frau Zehnpfennig hören würde...
ich bin mir auch nicht sicher ob ich ihn 100% verstehe, aber erhlich, wer tut das schon?
ich glaube er meinte, dass ich mich durch meine arbeit verwirkliche und immer das mache woran ich gerade spass habe und was gerade zu mir passt in dem moment. und selbst wenn du ein passionierter jäger bist: die wenigsten werden 12 stunden am tag auf dem ansitz hocken und begeistert sein. selbst wenn man ein reh vorbeikommt. ich meine klar kann jeder machen was er will, tu ich ja auch. und trotzdem: damit ich effektiv bin, habe ich meinen stundenplan, der mir sagt, was ich wann zu tun habe. wenn ich keinen hätte würde ich auch was lernen. aber nicht 8 oder 10 stunden am tag. ich würde mehr wandern, sport machen, mehr abwechselung. und dann sind wir schon wieder bei dem punkt, dass ich dann nicht so effektiv bin.
übrigens war mir klar, dass du das gut findest. aber> du musst von deinem schwarz-weiss (oder in diesem fall schwarz-rot) denken weg. nicht alles was rechts ist ist böse und nicht alles was links steht ist gut. und ich glaube man kann auch als cdu mensch verantweotungsvolle politik betreiben.
(hehe and Im back in the game... ;-))
And I guess my point was das 8 bis 10 stunden am Tag lernen (oder in seinem Tor stehen und trainieren) vielleicht nicht ganz so "effektiv" ist wenn man infolge dessen kreuzunglücklich wird und sich vor einen Zug wirft. Ich denke das ist eine Frage welches Parameter man anwendet um Effektivität zu messen. Es wäre doch schön, wenn statt dem Output (Noten, Geld, Erfindung) der Mensch selber oder die Gemeinschaft im Mittelpunkt stünde. Das klingt jetzt schon wieder so nach Metaebene, kann aber ganz konkret sein: wär doch schön, wenn Sozialarbeiter oder Hauptschullehrer mehr verdienen würden als Hedgefondsmanager. Das war mein Punkt mit der "Leistung"- für wen leiste ich, und welche Art von Leistung entlohnt die Gemeinschaft?
Du wirfst mir nicht ernsthaft ideologische Verbortheit vor?! Das CDU Politiker verantwortungsvolle Politik machen könne habe ich ja seinerzeit von Frau von der Leyen hinreichend gelernt. Dass sie es nicht tun, und zwar auf beiden Seiten, ist ein anderes Problem, das übrigens nichts mit dem Parteibuch zu tun hat, sondern mit general menschlichen Failings. Es ist ja nicht so als ob die anderen von qualifizierten Leuten und klugen Ideen nur so strotzen würden und das würde ich auch nie behaupten! Trotzdem, ganz ehrlich: was hier gerade abgeht ist unter aller Sau. Demokratie braucht Opposition, and I have a voice and I intend to use it. Wenn die anfangen verantwortungsvolle Politik zu machen (bislang habe ich noch nichts davon mitbekommen, but by all means enlight me) I will be the first to shut up. Bis dahin? Bring it on, bitches.
hm ich glaube es wird in geld gemessen, weil wir sonst ein quantifizierungs und verifizierungsproblem hätten. abe rklar, ich sehe was du meinst. dem widerspreche ich ja auch nicht. ich meine nur, dass wir dann wahrscheinlich nicht den lebensstandard hätten den wir haben.
ich meine hier sind die leute auch alle glücklich und nehmen das leben locker. ja und jetzt schau dir mal das land an...
und: ich finde es nicht zu viel, wenn man 8 stunden am tag was tut. wenn du dein essen in der wildnis dammeln müsstest wäre es vielleicht noch länger. klar, es muss alles menschlich bleiben, wie du geschrieben hast, man darf jemanden nicht nicht mögen, nur weil er keine 1 schreibt. aber ich finde es nicht zu viel verlangt, dass menschen sich im rahmen ihrer möglichkeiten anstrengen. und ich glaube gerade wir in deutschland haben unterm strich im vergleich zum rest der welt ein sehr sehr gechilltes leben. gerade wir studenten.
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